Mario Pfeifer: Explosion

Die Galerie für Zeitgenössischen Kunst zeigt mit der Ausstellung Explosion eine aus mehreren Videoarbeiten Mario Pfeifers zusammengestellte Filmlandschaft. Es ist die erste umfassende Einzelausstellung des 1981 in Dresden geborenen Künstlers, die von Kirsa Geiser kuratiert wird.

Dem gleichnamigen Roman des Ethnologen und Schriftstellers Hubert Fichte entlehnt, verweist der Ausstellungstitel auf die entfesselnde und gleichzeitig reflexive Wirkung von Begegnungen mit unterschiedlichen Lebensweisen und Lebensbedingungen weltweit. Auch Mario Pfeifer arbeitet mit den empirischen Methoden der Kulturanthropologie. Er reist in verschiedene Regionen und nimmt am Alltagsleben der Orte teil, an denen er – jeweils über längere Zeit – lebt. In seinen Filmen und Videoinstallationen sind Ausdrucksformen der teilnehmenden Beobachtung und der essayistischen Dokumentation erkennbar und immer wieder lässt er auch die Ästhetik von Musikvideos, Dokumentationen und „Science Videos“ in die filmische Erzählung einfließen, eine Methode, die an die Filmessays von Chris Marker erinnert. Provokant, desolat, schön, kämpferisch, hoffnungsvoll und auch kitschig sind nur einige Adjektive, die die mitreißend opulente Bildwelt der Videos beschreiben.

In den Episoden über Gemeinschaften z.B. in Indien, Brasilien, Chile, USA und Deutschland werden – in ihrer globalen Eingebundenheit – die Themen Arbeit, Religion, Ideologie, (Sub-)Kultur, Ökonomie, Kapital, Rassismus, Ausbeutung, Migration und Medien verhandelt.

Pfeifers Fokus liegt vor allem auf der Darstellung lohnabhängiger, Identitäts-konstruierender oder Identitäts-vernichtender Arbeit weltweit, deren Ausübung und Auswirkung er immer wieder ins Bild setzt. Dabei glaubt er fest an die Empathie evozierende Wirkung seiner Videoinstallationen. Gerade die Arbeitsprozesse sind es – im Gegensatz zu Religion und kulturellen Praktiken – , so der Künstler, die alle Menschen weltweit nachvollziehen können, egal ob in Leipzig, in Süd-Chile oder Marokko.

Dass die Liberalisierung der Märkte auch zu unendlich prekären Arbeitsverhältnissen führt, von denen vor allem die Produzenten und Konsumenten der reichen Industrieländer profitieren, ist ein virulentes Thema, das als Ursache für Kriege und Migration gilt. Empathie für das Leid anderer stellt sich aber offenbar nicht von selber ein. Sie kann letztlich nur durch ein humanistisch geprägtes Wissen um politische, ethische und finanzielle Zusammenhänge in der Welt entstehen. Eine Vernachlässigung dieses über institutionelle Bildung vermittelten Wissens führt unter anderem zu der Radikalisierung einiger „System-Verlierer“, wie jüngst auch wieder der Soziologe Didier Eribon in seinem Werk „Rückkehr nach Reims“ festgestellt hat.

Auch hierzulande, vor allem in Sachsen, haben Menschen immer mehr Angst vor möglichen Verschlechterungen durch Veränderungen. Das ist nachvollziehbar. Unverständlich in einer aufgeklärten, wohlhabenden Welt ist aber, dass sich diese Angst in Gewalt gegenüber Schwachen entlädt. Das kann nur moralisch zu verurteilen und zu ahnden sein. Jedoch führt die Verurteilung noch lange nicht zur Verbesserung. Um dieser Radikalisierung auf den Grund zu gehen ist eine Selbstbefragung unabdingbar: Was wurde von uns, von den lokalen Eliten, falsch gemacht und versäumt, dass es Raum für derart grobe Radikalisierungen gibt? Haben wir nicht die nötigen Instrumente? Wenn doch, haben wir diese nicht richtig eingesetzt?

Diese Frage führt zu der in Sachsen entstandenen Neuproduktion Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen / Deutschland. In Zusammenarbeit mit diversen Gesprächspartnern unterschiedlicher Prägung und Motivation, die unvoreingenommen einzeln in einem Filmstudio interviewt und angehört wurden, treibt Pfeifer die Frage um, was die Ursache für die derzeitige Radikalisierung innerhalb unserer Demokratie ist.

Wurden die Film- und Videoinstallationen Pfeifers bisher vor allem einzeln gezeigt und rezipiert, so wird die Filmlandschaft in der GfZK mit einem einzige Kopfhörer durchschritten.
Bild und Ton werden über Funk miteinander verbunden, wobei der entsprechende Ton je nach Bewegung und Position der Besucher im Raum aktiviert wird. Damit soll zum einen die Möglichkeit geboten werden, die Arbeiten aus der Erzählerperspektive in einem Parkur zu erleben. Zum anderen werden die Besucher in eine filmische Erzählung eingebunden, deren Leserichtung sie aktiv mitbestimmen können.

Ein Kunstwerk ist kein politisches Instrument und kann schlichtweg keine Politik ersetzen. Es kann aber im besten Falle eine ausschnitthafte bildliche Darstellung gesellschaftlicher Zustände auf allen Ebenen sein. Und es ist in dem Falle dieser Show von Mario Pfeifer ein Kaleidoskop, das verschiedene Perspektiven auf die aktuelle politische Situation wirft. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Bundesland Sachsen.

 

Texte und Downloads

In Kooperation mit KOW, Berlin

KOW Logo

Die Ausstellung ist Teil des Programms der Interkulturellen Wochen Leipzig 2016

© Solomon Wija

Mit freundlicher Unterstützung von

Die Neuproduktion Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen / Deutschland wird von BMW und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen unterstützt. Die Stiftung Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig wird durch den Förderkreis der GfZK Leipzig, die Stadt Leipzig und das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert. Sie wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes.

BMWKDFS_Logo+WappenLogo_FK_GFZKLogo_Stadt Leipzig
Lädt…