In einem dreitägigen Leseseminar verhandelt Rainer Ganahl Thesen aus dem 1960 erschienenen Hauptwerk von Elias Canetti. Darin beschreibt der spätere Literaturnobelpreisträger die Dynamik von Menschenmassen und geht der Frage nach, warum und in welchen Situationen Menschen Befehlshabern gehorchen oder Anführern folgen. Canetti begreift die Berührungsangst des Individuums mit dem „Anderen“, dem Fremden als eine grundlegende Eigenschaft. In dieser Angst sieht er den Grund dafür, warum sich Menschen Massenorganisationen anschließen. Es sei nämlich in der Gesellschaft von „Gleichgesinnten“, dass alle „ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen“. Der Verlust jeder Individualität werde dabei als befreiender Akt betrachtet, da der Einzelne nicht mehr allein der chaotischen Welt gegenüber stehe. In dem Moment jedoch, in dem sich Mitglieder einer Massenorganisation alle gleich fühlten, werde das Andersartige der Welt „da draußen“ umso deutlicher bewusst. Darin gründet das vernichtende Potential der Masse, das um des eigenen „Überlebens“ willen bemüht sei, alles andere zu negieren und zu zerstören. Im Rahmen des Leseseminars geht es nicht in erster Linie um Textanalyse, vielmehr sollen Bezüge zu gegenwärtigen Phänomenen der politischen und religiösen Massenbildung hergestellt werden.
Im Rahmen des Projektes Kreativitätsübungen.