Clarita Maria Phiri-Beierdörffer: ichibukisho – Akt der Erinnerung

Die raumgreifende Video- und Soundinstallation ichibukisho ist die Diplomarbeit von Clarita Maria Phiri-Beierdörffer. In ihren oft autobiografischen Arbeiten setzt sie sich mit der Möglichkeit einer selbstbestimmten Erinnerung auseinander. Mithilfe von Erzählungen und Fotografien, die sie sammelt und bearbeitet, versucht sie gelebte Erfahrungen mit erlerntem Wissen zu konfrontieren. Dabei interessiert sie sich für die Frage, inwieweit Bilder die Erinnerung stützen oder erst erschaffen. Auf CiBemba, einer in Zambia, Tanzania, und Kongo gesprochenen Sprache, bezeichnet das Wort „ichibukisho“ den Akt des Erinnerns. Die gleichnamige Installation besteht aus Videointerviews, in denen die Protagonist*innen über ihre Herkunft, ihr Selbstverständnis und Traditionen sprechen. Ein weiterer Bestandteil der Arbeit ist ein gefilmtes Gruppenbildnis, in dem Clarita Maria Phiri-Beierdörffer familiäre Beziehungen untersucht. Die in der Installation verarbeiteten Materialien verweisen auf die räumliche Situation, in der die in Lusaka geführten Gespräche stattgefunden haben.

Clarita Maria Phiri-Beierdörffer ist in Zambia, Namibia und Deutschland aufgewachsen und studiert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in der Klasse von Prof. Dr. Ines Schaber und Clemens von Wedemeyer.

Diplompräsentation in Kooperation mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

 

Interview Clarita Maria Phiri-Beierdörffer:

In deiner autobiografisch motivierten Diplomarbeit „ichibukisho – Akt der Erinnerung“ präsentierst du Videoporträts, in denen Menschen über ihre Identität sprechen. Die Videos sind in Zambia entstanden, wo du geboren wurdest, dann bist du in Namibia und Deutschland aufgewachsen. Wen sehen wir und welche Fragen haben dich in diesen Gesprächen interessiert?

Ich habe einige Familienangehörige gefilmt, vor allem aber Menschen, die ich vorher nicht kannte. Die Arbeit ist während eines Aufenthalts am Lusaka Contemporary Art Centre entstanden, teilweise haben dort auch Besucher*innen spontan mitgemacht. Ich habe ihnen Fragen rund um Identität gestellt, die ich mir auch selbst stelle – zu Sprache, kulturellen Praktiken, Familie, Verbindungen zur Diaspora. Auch Fotografie war ein Thema. Ich habe gefragt, ob sie Bilder von ihren Familienangehörigen haben. Mich hat interessiert, wie die Fotografie zu einer Art Reimagination der eigenen Geschichte beiträgt. Ich habe sie zum Beispiel ein Foto beschreiben lassen und gefragt, ob sie sicher seien, dass es dieses Bild wirklich gebe, oder ob es sich auch um eine Erinnerung handeln könnte. Und umgekehrt habe ich sie nach einer Erinnerung gefragt, die so klar ist, als sei sie ein Bild. Ich wollte erkunden, wie Fotografie Erinnerung konstruiert. Die Interviews habe ich auf Englisch geführt. Auf einer zusätzlichen Tonspur im Raum lese ich die Fragen noch einmal auf Bemba vor, meiner Muttersprache. Da ich adoptiert bin, kenne ich die Sprache praktisch kaum. Mich hat der Prozess des Übertragens interessiert, das Gebrochene in der Sprache. Außerdem ging es mir dabei darum, orale Tradition zu praktizieren.

Bei deinem Aufenthalt in Lusaka, wo deine Diplomarbeit „ichibukisho – Akt der Erinnerung“ entstanden ist, hast du dich mit der Geschichte afrikanischer Porträt- und Studiofotografie beschäftigt. Deine Auseinandersetzung mit dem Fotografischen hast du dann in Videoporträts übertragen. Dadurch wirst du viel von der Gewalt los, die mit dem Medium Fotografie und seiner Geschichte einhergeht. Was hat dich noch an diesem Transfer in ein anderes Medium interessiert?

Ich habe mich mit historischen Fotos in verschiedenen Archiven beschäftigt. Zum Beispiel im Evelyn Hone College, einer Art Design- und Kunstschule in Lusaka, die 1960 Film und Fotografe als Fach eingeführt hat. Oder in dem vor einigen Jahren von Sana Ginwalla gegründeten Archiv „Zambia Belonging“, das sich anhand von privaten Fotografien mit der Bedeutung von Fotografie für Identität und Zugehörigkeit beschäftigt. Mir fiel auf, dass vor allem die Porträtfotografie von einer westlichen Ästhetik geprägt war: cleaner Hintergrund, starre Posen usw. Mich haben vor allem die selteneren Fotografien von „einfachen“ Leuten interessiert. Einige Bilder sind im ländlichen Raum entstanden. Reisende Fotograf*innen boten dort Porträts an. Das war etwas ganz Besonderes. Man lieh sich ein Kleid der Nachbarin, hielt ein Prestige-Objekt in den Händen oder stellte sich vor ein Haus, das besser aussah als das eigene. Es ging um Status. Bei der Umsetzung meines Projekts habe ich mich für Videoporträts entschieden, die Elemente der Porträtfotografie aufgreifen. Ein bewegtes Bild sagt oft mehr aus als ein statisches. Es vermittelt viel über Körpersprache, zum Beispiel, ob es einer Person leicht oder schwerfällt, jemandem direkt in die Augen zu schauen. Oder wie sie mit ihren Händen umgeht, was dabei gelernte Muster sind usw. In einem Videoporträt lässt sich all das mit abbilden.

Sowohl in den Videoporträts deiner Diplomarbeit „ichibukisho – Akt der Erinnerung“ als auch in der Installation der Arbeit im Raum verwendest du so genannte „Waxprint-Stoffe“. Diese werden oft als genuin westafrikanisch wahrgenommen, stammen aber tatsächlich aus der Kolonialzeit stammen. Warum hast du sie in deine Arbeit integriert?

Die Batikstoffe mit ihren typischen Mustern wurden von den Niederländern zur Kolonialzeit aus Indonesien in Westafrika importiert. Es gab zum Beispiel in Zambia und auch in Westafrika zuvor schon ähnliche Stoffe, in Naturfarben und von Hand bemalt. Sie enthielten bestimmte Symbole und Botschaften. Durch die massenhafte Verbreitung der von den Niederlanden gehandelten Stoffe wurde diese lokale Tradition verdrängt. Ich habe die Stoffe in Zambia gekauft. Dort gibt es heute einen riesigen Markt mit solchen Stoffen – mit und ohne Druck, mit Mustern aus Senegal oder Mali usw., produziert in Nigeria, aber zum Beispiel auch in China. Diese Stoffe stehen in gewisser Weise auch für meine diasporische Identität: Durch das Aufwachsen in drei Ländern habe ich keine Geschichte, die wirklich meine ist. Außerdem kommt hier wieder die Fotografiegeschichte ins Spiel: Die Stoffe wurden häufig als Hintergrund von Porträts genutzt. Das hat das Bild von afrikanischer Fotografie von damals sehr geprägt. Meine Recherchen in den Archiven vor Ort haben aber gezeigt, dass es eben auch ganz andere Ästhetiken gab. Ich spiele ganz bewusst mit dem Klischee, wenn ich die Stoffe als Hintergrund in Videoporträts einbinde, die Fragen nach der eigenen Geschichte, Identität und Kultur verhandeln.

Das Gespräch führte Sabine Weier, Februar 2024

Lädt…